Wie Printmedien den Lesern in der Krise Orientierung und Sicherheit geben
Die Einkaufsmöglichkeiten sind auf die versorgungsrelevanten Einzelhändler beschränkt. Kultur- und Freizeiteinrichtungen haben den Betrieb eingestellt. Weltweit herrschen Einreiseverbote. Soziale Kontakte sind nur noch auf einem absoluten Minimum erlaubt. Unser Arbeitsleben findet zum größten Teil aus dem Homeoffice statt. Geschäftsmeetings werden in Form von Video-Calls abgehalten. Die einen schwärmen von der Stille, die anderen gehen schon nach kürzester Zeit die Wände hoch. Was bedeutet diese Stille für die Mediengattung Print?
Die harten Fakten richtig einordnen
Auch Print-Verlage möchten in dieser herausfordernden Zeit natürlich positive und nicht nur negative News verbreiten, daher lesen wir aktuell immer wieder von steigenden Verkäufen. Wir müssen hier aber vorsichtig sein, wenn Vermarkter von steigenden „Einzelhandelsverkäufen“ reden. Dies ist nicht mit dem „Einzelverkauf“ der IVW gleichzusetzen, da hier nur ein Teil des Einzelverkaufs gemeint ist. Berücksichtigt werden in diesem Anstieg also nur die Zugewinne an den „systemrelevanten“ Verkaufsstellen, wie z. B. in Supermärkten oder Tankstellen.
Ähnliches gilt für die Abo-Auflagen: Auch wenn Vermarkter von zunehmenden Erfolgsquoten bei Vertragsabschlüssen reden, so wird entscheidend sein, von welcher Höhe die Rede ist und welche Abo-Kündigungen dem gegenüberstehen. Auch wenn wir aktuell von Zuwächsen in einzelnen Segmenten ausgehen, werden wir erst ein klares Bild über die Auflagenentwicklung haben, wenn die IVW-Zahlen aus den ersten beiden Quartalen 2020 vorliegen. Die Zahlen für das 1. Quartal werden voraussichtlich am 22. April 2020 veröffentlicht und sollten erste Aufschlüsse geben. Auf die Zahlen aus dem 2. Quartal 2020 müssen wir uns voraussichtlich noch bis zum 22. Juli 2020 gedulden.
Werbekunden reagieren völlig unterschiedlich auf den Lockdown
Während die einen bis auf Weiteres ihre Budgets auf Eis legen, fragen sich die anderen, ob jetzt nicht ein guter Zeitpunkt wäre, um zusätzliches Budget in Print-Werbung zu investieren. Die unterschiedlichen Reaktionen lassen sich natürlich mit den völlig verschiedenen Gegebenheiten in der Krise begründen: Branchen, wie z. B. Automobilhersteller oder Modekonzerne, sind aktuell fast handlungsunfähig, weil Produktions- und Verkaufsstätten geschlossen sind. Nachvollziehbar, dass keine Produkte beworben werden, die nicht mehr produziert werden. Auf der anderen Seite erleben Branchen, wie z. B. Nahrungsmittel- oder Pharmahersteller, gerade eine erhöhte Nachfrage, da ihre Angebote „systemrelevant“ und somit weiterhin im Einzelhandel und in Apotheken verfügbar sind.
Da Print als Gattung lange Vorlaufzeiten und Stornofristen von ca. 4-6 Wochen hat, müssen Werbekunden schon jetzt Urteile für zukünftige Kampagnen treffen. Keine leichte Entscheidung, da man aktuell nicht weiß, wie sich die Lage in Deutschland während der Corona-Pandemie in den nächsten Wochen entwickeln wird und Zukunftsszenarien vage sind. Sollten also in naher Zukunft kurzfristig wieder Kampagnen „on air“ gehen, werden nur die von Anfang an mit Print ausgestattet sein, bei denen die Kunden heute schon positiv in die nächsten Monate blicken und ihre Stornierungsoptionen auf einen bestimmten Zeitraum begrenzen.
Wie dynamisch ist der Markt? Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer nach Corona?
Neben der verstärkten Nutzung von Tageszeitungen und wöchentlichen News-Titeln, auf die wir nochmal genauer eingehen werden, ist anzunehmen, dass die Menschen nun vermehrt zu TV-Titeln greifen, da sie deutlich mehr Zeit zu Hause mit der Familie verbringen und gemeinsame Fernsehabende „eine Renaissance“ feiern. Ebenso werden Kinder-Titel einen großen Aufschwung erleben. Da die Schulen und Kitas bis auf Weiteres geschlossen bleiben, brauchen die Kinder Beschäftigung. Die arbeitenden Eltern brauchen „leise“ Alternativen zum TV-Programm und zu Video-Spielen. Diese Chance sehen auch einige Vermarkter. Während einige Medienhäuser Ausgaben canceln, bringt der Verlag Egmont Ehapa jetzt zu Corona-Zeiten ein neues Kinder-Magazin („Pummel & Friends: Pummeleinhorn und seine Freunde“) auf den Markt.
Da die Menschen sich zwangsweise der Situation anpassen müssen, wird Print eine gute Abwechslung für die wegfallenden Freizeitangebote sein. Es ist zu erwarten, dass jetzt auch Menschen zu diesem Medium greifen, die es bisher nicht oder weniger auf dem Schirm hatten. Hier besteht also Potenzial zur neuen Lesergewinnung. Vor allem Special Interest-Titel mit Themen wie beispielsweise Backen, Stricken oder Yoga zu Hause können von der aktuellen Situation profitieren (Quellen: Ad Alliance, Sales Manager Print & Crossmedia; Bauer Advertising KG, Regional Sales Director, April 2020).
Abbildung: Veränderung im Einkaufsverhalten (Quelle: Die Corona-Pandemie und ihr Einfluss auf den Alltag – Studie AdAlliance, 04.03.2020)
Eine gefährdete Spezies in der starken Gattung Print sind hingegen Fachzeitschriften, die direkt an die Entscheider in Firmen gesendet oder auch kostenlos auf Veranstaltungen und Messen verteilt werden. Da fast alle Events abgesagt sind und sich ein Großteil der Entscheider im Homeoffice befinden, werden diese Titel aktuell kaum Beachtung und somit Leser finden.
Das Verlangen nach journalistisch glaubwürdigen Printmedien nimmt zu
Printmedien genießen großes Vertrauen, da sie fundiert und sachlich berichten. Insbesondere Tageszeitungen sind aktuell ein wichtiger Vermittler von verlässlichen Informationen. Wenn über ein Ereignis in Print und in den sozialen Netzwerken unterschiedlich berichtet wird, vertrauen 60 % den Printmedien und nur 7 % digitalen Diensten wie z. B. Facebook. Digitale Reizüberflutung und Fake News treiben die Menschen weiter in die Vertrautheit der Printmedien. 92 % der Menschen sehen Social Media als besonders anfällig für die Verbreitung von Fake News (Quelle: b4p trends, Fake News, Februar 2018).
Werbetreibende können von dieser Vertrautheit profitieren und in einem authentischen Umfeld auftreten. Insbesondere positives Storytelling kann Unternehmen in der Krise sympathisch positionieren, da die Leser nach Aufklärung und Sicherheit suchen.
Ein Großteil der Verlage (AdAlliance, Burda und weitere) verzeichnen bereits in den ersten Corona-Wochen deutlich steigende Zahlen im Einzelhandelsverkauf. Besonders nachgefragt sind News- und Finanz-Titel, da diese zu den zentralen Informationsquellen über das Coronavirus zählen. Beispielsweise hat das Magazin Capital etwa 20 % an verkauften Exemplaren zur vorherigen Ausgabe zugelegt, Der Spiegel sogar 30 %. Diese erhöhte Nachfrage nach fundierten Informationen bedienen die Verlage nur allzu gern: Am 23. März erschien ein Stern-Sonderheft, das Ursache, Entstehungsgeschichte und Ausbreitung von COVID-19 beleuchtet. Nach eigenen Angaben „wurde das Heft dem Vertrieb aus den Händen gerissen“.
Abbildung: Informiertheit bedeutet Sicherheit (Quelle: Journalistische Medien und die Corona-Pandemie – Studie AdAlliance, 03.04.2020)
Auch Verlage wie Burda oder Media Impact reagieren auf die Krise mit markenbezogenen Vermarktungsangeboten. Während Burda mit „STAY HOME – STAY IN STYLE“ (z. B. Elle, Instyle, Bunte) gezielt auf die Frauenzielgruppen abzielt, erstellt Media Impact Konzepte unter dem Hashtag #wirfüreuch. Obwohl die Menschen nachgewiesen mehr Streaming-Dienste in Anspruch nehmen, überholt die Tageszeitung mit ihren Zuwächsen diesen Trend (+15 % Deutsche Tageszeitungs-Leser) (Quelle: Deutschlands Krisen-Kompass 2020, onlinerepräsentativ Befragung forsa, 20.-22.03.2020).
COVID-19 verändert die Vertriebswege und Abnahme-Orte der Leser
Im Markt ist ein deutlicher Anstieg sowohl im Abo-Geschäft als auch im Einzelverkauf zu verzeichnen. Während Abonnements schneller telefonisch abgeschlossen werden und die Erfolgsquote der Kündigungs-Rückgewinnung in die Höhe schnellt (Quelle: AdAlliance Sales Department Print & Crossmedia, April 2020), verschieben sich die Zahlen an den Einzelverkaufsstellen.
Eine deutliche Umsatzsteigerung melden die Verlage vor allem im Lebensmitteleinzelhandel. Anstiege von bis zu 20 % sind hier aktuell normal (Quelle: Media Impact, Gebiet West, Magazine Division, Automotive, April 2020). Auch die Tankstellen sind deutlich höher frequentiert und eine beliebtere Zeitschriften-Abnahme-Stelle als vor der Krise. Hier sieht beispielsweise die Motorpresse Chancen für ihre Auto-Titel und setzt zahlreiche Sonderplatzierungen an den deutschlandweiten Kraftstoffverkaufsstellen um.
In dieser Zeit profitieren die Verlage, die schon langfristig auf die Vertriebswege im Abo- und Einzelverkauf setzen. Laut Bauer-Verlag verteilt sich ihr Zeitschriftenvertrieb zu 60 % auf den Lebensmitteleinzelhandel und zu rund 25 % auf Kiosk-Verkäufe. Nur etwa 3 % des Vertriebs geht über Reise-Punkte wie Bahnhof oder Flughafen (Quelle: Bauer Advertising KG Regional Sales Director, April 2020). Doch auch bei anders strukturierten Verlagen können die steigenden Zahlen im LEH „einzelne Ausfälle von Bahnhofs- und Flughafenverkäufen mehr als ausgleichen“ (Quelle: Media Impact, Gebiet West, Magazine Division, Automotive, April 2020). Auch die bisher weniger gut angenommenen E-Paper der gedruckten Titel steigen aktuell an: Die E-Paper Abos der Score Media-Tageszeitungen sind durchschnittlich um 10 % erhöht (Quelle: Score Media Group, April 2020). Dieses neue Interesse an den digitalen Print-Medien nutzt der erste Verlag bereits mit einem konkreten Lock-Angebot: Gruner + Jahr wirbt mit kostenlosen E-Papern, Apps und PLUS-Inhalten bis Ende April. Das solch ein Angebot nicht nur die Schnäppchen-Jäger auf den Plan ruft, ist klar. Vermutlich besteht auf Seiten des Verlages die Hoffnung, dass nicht wenige Nutzer jetzt auf den Geschmack kommen und nach Corona gerne auf ein bezahltes Abonnement umsteigen.
Die Konkurrenz äußert sich kritisch gegen diese Aktion, da sie immer öfter angefeindet werden, weil journalistische Artikel über Corona in anderen Medien nicht einfach frei zugänglich sind. Ob dieser selbst bezeichnete Akt der Solidarität langfristig treue Abo-Leser generiert oder die Menschen nur nach kostenlosem, kurzfristigem Zeitvertreib suchen, bleibt zu beobachten.
Doch wie lange kompensieren die steigenden Auflagen die schwindenden Spendings?
Die Auflagen der Magazine steigen im zweistelligen Prozentbereich, aber gleichzeitig sinken die Spendings der Werbekunden in gleichem Maße. Diese Verluste im Anzeigenmarkt schwächen die Verlage so sehr, dass sie auch mit höheren Vertriebserlösen nicht kompensiert werden können. Zu den fehlenden Anzeigenaufträgen kommen außerdem noch die Verluste der abgesagten Veranstaltungen hinzu.
Laut Berichten auf Horizont.net haben erste Verlage bereits Kurzarbeit beantragt, darunter die Funke Mediengruppe. Andere namentliche Konkurrenten wie SWMH (unter anderem Süddeutsche Zeitung) und der Zeitverlag planen ebenfalls entsprechende Maßnahmen. Um drohende Kurzarbeit abzuwenden, werden die Medienhäuser flexibler. Der Klambt Verlag passt nun die Heftumfänge an die wirtschaftliche Situation an und versucht hier Einsparungen vor zu nehmen (Quelle: Mediengruppe Klambt Regional Sales, April 2020).
Was wird die neue Normalität nach Corona sein?
Insgesamt können wir festhalten, dass das Medium Print in der aktuellen Krise durchaus seine Berechtigung hat und einen kleinen Aufschwung durch das neue Freizeitverhalten bekommt. Trotzdem geht es der Verlagsbranche, wie fast allen Unternehmen zurzeit, mit sinkenden Spendings an die Existenz.
Für alle Verlagshäuser aber, die die Krise mehr oder weniger unbeschadet überstehen, werden sich die Vertriebswege langfristig wieder normalisieren. Die Flughäfen und Bahnhofsbuchhändler werden wieder öffnen und die Pendler werden zu ihren Gewohnheiten zurückkehren. Auch die Spendings der großen Werbekunden werden sich mittelfristig wieder auf ein Normal-Maß zurückbegeben, denn nach der Krise ist Kommunikation wichtiger als je zuvor… Und wie sagte schon Henry Ford zu seiner Zeit: „Wenn Sie einen Dollar in Ihr Unternehmen stecken wollen, so müssen Sie einen weiteren bereithalten, um das bekannt zu machen.“
Das Medium Print positioniert sich aktuell in der Krise durchweg positiv: vertrauenswürdig, informativ und unterhaltsam. Diese positive Stimmung und Resonanz wird die Gattung auch nach der Krise weiter festigen, vielleicht wird sie auch wieder langfristiger bei der jüngeren Generation eine Rolle spielen. Tageszeitungen, sowohl gedruckt als auch digital, sind aktuell wichtige Informationsquellen, insbesondere auch für die 18- bis 29-Jährigen. Ob die Auflagen bzw. Reichweiten auch nach der Krise nachhaltig steigen, bleibt abzuwarten. Die Chance besteht aber definitiv.
Auf die werbungtreibenden Kunden und Verlage kommen aber trotz aller positiver Signale auch planerische Herausforderungen zu: Heftausgaben werden momentan gestrichen oder Ausgaben werden zusammengelegt. Die Möglichkeiten für den großen Print-Aufschlag nach der Krise werden also begrenzter sein als zu Normal-Zeiten. Vor allem die Premium- und Automotive-Kunden werden sich in der Wiederaufbau-Phase um die Vorzugsplatzierungen reißen. Aber auch dieser kommende Ansturm lässt den „Dinosaurier“ unter den Medien wieder einmal stark in die Zukunft blicken.
Autoren:
Ekrem Atmis, Deputy Director Activation Print Planning / OMD Düsseldorf
Henrike Fohrmann, Deputy Director Activation Print Planning / OMD Düsseldorf
15.04.2020