Medianutzung in der Krise
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Media-Business as UNusual

Herausforderungen und Chancen in der Krise

Als Mediaagentur stehen wir in der Verantwortung: Unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber selbstverständlich auch unseren Werbekunden gegenüber. Gerade in unruhigen Zeiten, wie uns diese durch den Covid-19 Virus in Deutschland erreicht haben, stehen wir auch vor enorm großen Herausforderungen. Der Alltag und damit auch die Mediennutzung unserer Zielgruppen ändert sich rapide. Und da eine gute Mediastrategie immer auf starken Zielgruppen-Insights basiert, müssen wir gerade in Zeiten starker Veränderungen schnell und flexibel reagieren.

Für jeden von uns bringt die Krise sowohl privat auch beruflich völlig neue Herausforderungen mit sich. Das führt in weiten Teilen der Bevölkerung zu einer massiven Verunsicherung und einer gefühlten Machtlosigkeit. Befeuert wird dieses Gefühl durch eine unendliche Zahl an neuen Meldungen (oft auch Fake-News) und immer weiteren stärkeren Einschränkungen unseres Alltags. Natürlich ist der erste Reflex auf diese Situation: Rückzug! Und diesen Reflex zeigen verständlicherweise auch viele Werbungtreibende. Aber ist es jetzt wirklich richtig, den Kopf in den Sand zu stecken und zu warten, bis die Krise vorüber ist? Muss man in einer Krise nicht immer auch eine Chance sehen? Ich bin mir sicher, dass jetzt die Stunde agiler Unternehmen ist, die ihre Kommunikation schnell auf die Situation anpassen und damit nachhaltig einen positiven Effekt für ihre Marke erzielen werden. Dafür gilt es aber erst einmal, mit kühlem Kopf zu analysieren, was eigentlich passiert. Wie verändert sich Konsumentenverhalten aktuell in Bezug auf Mediennutzung und Einkaufsentscheidungen? Wir haben uns damit in den vergangenen Tagen intensiv auseinandergesetzt und möchten unsere Erkenntnisse und mögliche Implikationen daraus im Folgenden teilen

Die Rahmenbedingungen ändern sich radikal: Konsumenten passen sich unmittelbar an

Wie stark sich die aktuelle Situation auf das Verhalten auswirkt, zeigen folgende Beispiele: Anwendungen für das Homeoffice sowie Lern-Apps rangieren aktuell ganz oben in den Download-Charts der App-Stores. Suchanfragen nach „Lieferservice“ und „Online einkaufen“ steigen laut Google Trends deutlich an. YouTube verzeichnet in Italien einen rasanten Anstieg der täglichen Sehdauer, insbesondere auf Desktop und Smart-TV. Home-Fitness-Apps sind gefragt wie nie. Man könnte an dieser Stelle viele weitere Beispiele aufzählen.

Die Mediennutzung steigt – aber die Anteile verschieben sich

Zunächst beobachten wir eine stark steigende Mediennutzung. Hier gibt es vor allem zwei klare Gewinner: TV und Digital. Wobei gerade bei Letzterem stark differenziert werden muss. Die Nutzung von digitalen Applikationen, die uns dabei helfen, Kontakt zu unseren Kollegen und Familien zu halten, steigt rapide an. Und ich bin mir sicher, dass diese auch nach der Krise stärkeren Einzug in unseren Alltag erhalten werden. Vor allem bei älteren, bislang wenig online-affinen Menschen, wird die Nutzung stark anziehen. Diese Zielgruppen erkennen jetzt quasi „gezwungenermaßen“ den Mehrwehrt und werden auch zukünftig davon Gebrauch machen. Hier sollten Unternehmen prüfen, ob sie aktuell gut für den digitalen Dialog mit ihren Kunden aufgestellt sind. Beziehungsweise werden sie es jetzt realisieren, falls sie es nicht sind. Ein weiterer großer Gewinner wird der gesamte E-Commerce Bereich sein. Da der stationäre Handel größtenteils schließen muss, werden selbst Menschen online shoppen, die dies bisher nicht getan haben. Und auch hier werden positive Experiences dafür sorgen, dass der E-Commerce einen echten Boom erfahren wird. Unternehmen, die jetzt gut aufgestellt sind, werden profitieren. Alle anderen sollten schnellstens handeln.

Gleichfalls gehen Nachrichtenplattformen mit hohem Authentizitätsgrad und journalistischer Güte gestärkt aus diesen Tagen hervor. Hier werden relevante, geprüfte Berichterstattung wieder als Wert erkannt und „Fake News“ als Bedrohung wahrgenommen. Die gute Nachricht ist: Qualitätsjournalismus erhält den Stellenwert zurück, den er verdient. Davon profitieren in und vermutlich auch nach der Krise die starken Medienmarken, die ein großes Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Und ja, so kann auch Print wieder an Relevanz gewinnen.

Aktuelle Verlierer sind vor allem Mediengattungen, die bislang von der hohen Mobilität der Menschen profitiert haben und nur außer Haus konsumiert werden können. Allen voran stehen hier Out-of-Home Medien, die in diesen Wochen mit stark sinkenden Reichweiten zu tun haben. Noch härter trifft es die Kinoformate, deren Reichweiten aufgrund der flächendeckenden Schließungen aktuell auf Null sinken. Spannend wird hier sein, wie schnell sich Kino nach der Krise erholen kann. Folgt doch zunächst der Sommer als grundsätzlich schwache Kinozeit. Wir gehen daher von einem sehr umkämpften vierten Quartal aus, in dem generell schon viele Blockbuster in die Kinos kommen und nun auch viele verschobene Filme hinzukommen werden. James Bond und Mulan lassen grüßen. Die Werbekunden wird‘s freuen!

Was das Konsumverhalten angeht, so wird selbstverständlich insbesondere die Reisebranche (Flüge, Bahnreisen, Mietwagen, Hotels etc.) betroffen sein. Gleiches gilt für die Unterhaltungs- und Sportveranstalter, die von einem hohen Anteil von Publikum vor Ort abhängig sind und sich derzeit mit meist alternativlosen Absagen konfrontiert sehen. Weiter werden hochpreisige Güter, die einen starken Offline-Anteil in der Customer Journey aufweisen, mit Verlusten zu kämpfen haben. Hier wird es spannend sein, wie schnell Konsumenten die aktuell verschobenen Käufe nachholen werden – was aktuell noch sehr schwer absehbar ist.

Wenden wir uns in den nächsten Abschnitten noch einmal im Detail den Mediengattungen mit stärksten Ausschlägen in der Nutzung zu.

Welche Ableitungen ergeben sich für TV?

Ein massiver Zuwachs ist derzeit in der Nutzung von TV zu verzeichnen. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens, sei es durch Schulschließungen oder Absagen von Veranstaltungen, wirken sich unmittelbar auf die TV-Reichweiten aus. In den ersten Tagen hat die Reichweite der Top 6-Privatsender um 13 % zugenommen. Ein Blick auf Länder wie China, die noch stärker von Corona betroffen sind als Deutschland, zeigen, wohin die Entwicklung gehen wird – hier sind Zuwachsraten um durchschnittlich 60 % verzeichnet worden. Da solche Länder Deutschland im Verlauf der Krise einige Wochen voraus sind, dienen sie als geeigneter Indikator für den sich abzeichnenden Zuwachs des Informationsbedarfs. Eine deutschlandweite Ausgangssperre bspw. wird die Nutzung weiter steigen lassen.

Die wichtigsten Erkenntnisse für TV in der Corona-Krise:

  • Verbesserte TV-Wirtschaftlichkeit: Hohe Senderzuwächse bei stabilen Werbeblockpreisen
  • Bessere Reichweitenausschöpfung: Netto-Seherschaft erhöht, Wenig-Seher werden besser erreicht, vor allem auch Kinder und Jugendliche
  • Höhere Wahrnehmung: Reduziertes „Noise-Level“ durch den Rückgang von Werbebuchungen

Aus den gesellschaftlich und medial erfolgten Änderungen der Rahmenbedingungen ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen: der Verzicht auf promotionale Kampagnen mit Drive-to-Store-Mechanik, da Einkaufsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Verkaufsorientierte E-Commerce Kampagnen profitieren, sofern die branchenspezifischen Rahmenbedingungen es zulassen. TV-Branding-Kampagnen sind zurzeit sehr wirtschaftlich und wirkungsvoll umsetzbar (Empfehlung: starker Prime-Time Fokus). Und das verantwortungsvolle Aufgreifen von Themen, die alle beschäftigen, lädt die Marke positiv auf.

Welche Ableitungen ergeben sich für Digital?

Auch der digitale Sektor sieht sich zahlreichen Veränderungen gegenüber. Zunächst profitiert das Genre von steigenden Reichweiten und stärkerer Interaktion. Gleichzeitig sind hier differenzierte Ableitungen für die einzelnen Werbeformen möglich.

Display- & Videowerbung in Zeiten von Corona:

Insgesamt kann durch den erhöhten Informationsbedarf von einer gestiegenen Nutzung von Display- und Videoformaten ausgegangen werden. Streaming-Dienste und die Mediatheken verzeichnen starke Reichweitenzuwächse. Zudem profitieren Newsportale massiv vom gesteigerten Informationsbedürfnis in der Bevölkerung. Traffic-Verlierer finden sich dagegen insbesondere auf Sportseiten und der Berichterstattung über Großevents. Handlungsempfehlungen für Werbungtreibende in Display- und Videowerbung sind die Aktualisierung des Programmatic-Set-Ups um mögliche Corona-Ausschlüsse (bspw. über Negative-Keywords) und die Prüfung der Werbemittel auf derzeit unpassende Aussagen.

Suchmaschinenwerbung in Zeiten von Corona:

Wenig überraschend hat das Suchvolumen insgesamt zugenommen. Die Suchintention verlagert sich aber von Outdoor-Entertainment (Veranstaltungen, Fußball etc.) in Richtung Life-Hacks und Nachrichtenrecherche. Die klassischen W-Fragen mit Anwenderbezug stehen im Vordergrund, auch die Verfügbarkeit von Artikeln („Toilettenpapier Köln-Kalk kaufen“) nimmt zu. Handlungsempfehlungen sind die Erweiterung der Suchmaschinenbegriffe um Negative-Keywords, sofern man nicht im Umfeld mit Corona gefunden werden möchte. Aktuell nicht verfügbare Artikel können durch die Bewerbung von Vorbestellungen weiter live gehalten werden. Zusätzlicher Support über erweiterte Telefondienste, Liefermöglichkeiten etc. sollten aktiv beworben werden.

Social Advertising in Zeiten von Corona:

Mit sinkender Zahl der sozialen Kontakte in der Umwelt steigt die soziale Interaktion im Netz. Hier haben insbesondere Twitter, Snapchat und Co. Zulauf in den App-Stores, auch Anwendungen zum mobilen Lernen und Hausaufgaben stehen hoch im Kurs. Handlungsempfehlung ist, die situationsbedingte Ansprache von Usern („Du hast Langeweile“, „Wie reinige ich meinen Kühlschrank richtig“) zu erhöhen und Corporate Social Responsability im Zusammenhang mit der eigenen Marke, etwa über Spendenaufrufe oder Lifehacks zu unterstreichen. Aber Achtung: Krisen-Gewinner- Aktionen können zu Shitstorms führen!

Affiliate in Zeiten von Corona:

Affiliate ist durch die enge Anbindung an das E-Commerce-Segment einer der Traffic-Gewinner in Zeiten von Corona. Bis auf die bislang wichtigen Segmente Ticketing und Outdoor-Sport ist die Nachfrage nach dem Format sehr hoch. Content-Affiliates profitieren zusätzlich über die Beantwortung wichtiger aktueller Fragen. Als Handlungsempfehlungen lassen sich das Buchen von Advertorials (aktuell geringe Nachfrage, hohe Aufmerksamkeitswerte) und das Einstellen zusätzlicher „Events“ (Newsletter, App-Downloads) hervorheben. Auch die Produktverfügbarkeiten sollten dringend laufend aktualisiert und im Auge behalten werden.

E-Commerce in Zeiten von Corona:

Im Bereich Handel werden verstärkt Bevorratungen und Hamsterkäufe getätigt, die für deutliche Umsatzsteigerungen bei Einzelhändlern und Shoppingplattformen sorgen. Amazon hat sein Fulfillment bereits auf große Mengen FMCG und medizinische Güter umgestellt. Bisherige E-Commerce Verweigerer dürften „bekehrt“ werden und sich angesichts der Einschränkungen in Mobilität und POS dem Onlineeinkauf zuwenden. Wichtigste Handlungsempfehlungen sind hier, stationäre Vertriebspartner durch Onlinehändler zu ergänzen und auf Partner zu setzen, die mit eigenen, nicht Amazon-Shops Bedarfe bedienen können. Social Commerce hat Hochkonjunktur – hier sollten die vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, unter Beachtung der User Experience und Vermeidung nicht relevanter Produkte. Vertrauenswürdige Marken und Kommunikation haben Vorteile.

Digital Analytics in Zeiten von Corona

Der Traffic bei Onlinestores wird zunehmen, was Digital Analytics aber nicht vor gesonderte Herausforderungen stellt. Der Wegfall typischer B2B-Bestellungen und die Verschiebung der Zugriffszeiten (andere Arbeitszeiten, Wegfall von Pendelwegen) sowie Änderungen in der Devicenutzung hin zu Mobile Devices sind zu erwarten. Handlungsempfehlungen sind die detaillierte Analyse von Trafficquellen, situationsbedingten Keywords, die neu gewichtet werden sollten, und mögliche Ableitungen für die neuen Trafficströme (bspw. Erstellung einer neuen Einstiegsseite mit Kerninfos zur Verfügbarkeiten, Öffnungszeiten etc.).

CRM in Zeiten von Corona

In Zeiten wie diesen ist eine enge Kommunikation mit den eigenen Kunden notwendig. Diese dürfte insbesondere über Direct Marketing wie E-Mail und Social stattfinden. Handlungsempfehlungen sind die Entwicklung von CRM-Strategien für derartige Krisenfälle, die Einplanung von Agilität aufgrund erwartbarer Anfragepeaks sowie die Einheitlichkeit der zur Verfügung gestellten Informationen an allen Points-of-Contact mit dem Kunden. Situationsspezifische Rückmeldungen sollten allgemeine Aussagen ablösen.

Corona und Media: Wie geht es weiter?

Derzeit kann nicht sicher prognostiziert werden, wie sich die Lage weiterentwickelt. Einen ersten Ausblick ergibt die Analyse von stärker bzw. früher betroffenen Staaten wie China, die als Indikator für eine weiteren Entwicklung in Deutschland dienen. Durch die starken gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Änderungen der jüngsten Zeit ergeben sich auch relevante Insights für die Planung von Media. Neben einer aufmerksamen Analyse aktueller Entwicklungen, einer situations- und nutzungsbedingten Anpassung von Mediaaktivitäten ist aber vor allem ein geplantes Vorgehen und eine authentische und verlässliche Kommunikation gegenüber Kunden, Mitarbeitern und Partnern das höchste Gut. Diese sollte immer den Maßstab für alle weiteren Entwicklungen setzen. Suchen Sie die Chancen in der Krise, für sich und Ihr Unternehmen. Und vor allen Dingen: Bleiben Sie gesund!

Autor: René Coiffard, Chief Stragey Officer / OMD Germany

Dieser Artikel erschien am 23.03.2020 als Gastbeitrag bei W&V online auf wuv.de