Let's Make Lemonade - Videokonferenzen oder Businessflüge
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Die Drei von der Denkstelle, #1: Videocalls oder Businessflieger?

Covid-19 verändert unser aller Leben derzeit massiv. Wir arbeiten anders, wir leben anders und wir lieben anders. Die Frage, die sich dabei viele stellen: Was passiert, wenn der Alltag wieder eingekehrt ist und wir wieder alle Freiheiten haben? Sind wir dann wieder die Alten oder hat sich unser Verhalten grundsätzlich geändert?

Darüber machen sich derzeit bereits viele kluge und kreative Köpfe Gedanken und entwerfen eine neue Welt. Eine Welt nach Corona. Das ist häufig interessant und unterhaltsam, aber steckt da tatsächlich mehr dahinter? Wie wahrscheinlich ist es, dass es zu nachdrücklichen Verhaltensänderungen kommt, die die Krise überdauern werden?

Let's Make Lemonade - Die Drei von der Denkstelle

Abbildung: Die Autoren Christian Franzen, Elmar Klemm und Frank Händler im Home-Office, Bildquelle: OMD

Wer könnte das besser beantworten als die „Drei von der Denkstelle“. Drei Forscher, die zusammen über 78 Jahre Berufserfahrung auf dem Buckel haben und schon so manche windige Theorie ins Wanken brachten. Einmal pro Woche präsentieren wir Ihnen eine neue Covid-19-Theorie und versuchen sie forscherisch zu hinterfragen, damit Sie den Überblick nicht verlieren.

#1: Video-Calls statt Businessflieger

Der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx macht in einem aktuellen Beitrag ein Gedankenexperiment: Wie werden wir in einigen Monaten auf die Krise zurückblicken? Was wird sich in unserem Verhalten gegenüber unserem Verhalten vor der Krise verändert haben? In seinen Ausführungen entsteht das Bild einer neuen Gesellschaft, die Themen wie Digitalisierung, persönliche Kontakte und lokale Anbieter neu bewertet. Unter anderem stellt Horx die These auf, dass Video-Calls sich auf unser Reiseverhalten auswirken werden.

Zukunftsforscher - Mathias Horx

Abbildung: Zukunftsforscher Matthias Horx, Bildquelle: horx.com/fotos/

„Wir wundern uns auch, wie schnell sich plötzlich die Kulturtechniken des Digitalen in der Praxis bewährt haben. Tele- und Videokonferenzen, gegen die sich die meisten Kollegen immer gewehrt hatten (weil der Businessflieger besser schien), stellten sich als durchaus praktikabel und produktiv heraus.“

Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher, auf zukunftsinstitut.de1

Aktuelle Fakten bestätigen hohes Interesse an Videokonferenzen

Diese These wollen wir heute genauer unter die Lupe nehmen. Seit dem ersten Tag des Shutdowns zeigt sich ganz deutlich, dass Suchvolumen nach „Videokonferenz“ und „Zoom“, als einer der Anbieter von Videokonferenzen, regelrecht explodiert sind. Doch können wir daran zunächst einmal nicht sehen, in wieweit es sich hier um berufliche oder private Nutzung handelt, denn auch in der Familie oder unter Freunden wird derzeit per Video gechattet.

Google Trends - Suchen "Videokonferenz" und "Zoom"

Abbildung: Entwicklung Suchvolumen nach „Videokonferenz“ (orange) und „Zoom“ (grau), Bildquelle: Google Trends

Daher werfen wir nun einen Blick darauf, wie viele Deutsche derzeit überhaupt im Homeoffice arbeiten. Denn dort ist ja die berufliche Nutzung von Videokonferenzen zu erwarten und nur diese könnten berufliche Reisen in der Zukunft gefährden. Derzeit arbeiten 25 % der Vollzeitbeschäftigten im Homeoffice. Vielleicht ein überraschender Wert, wenn man gerade selbst im Homeoffice arbeitet und dort nur mit ebensolchen Kollegen oder Kunden in Kontakt kommt. Doch die Mehrheit der Deutschen arbeitet eben nicht im Homeoffice. Grund hierfür ist, dass 53 % der Befragten angeben, dass dies in ihrem Beruf schlicht nicht möglich sei (Quelle: jeweils: YouGov Corona Monitor, März 2020, 2.Welle).

Sind Videokonferenzen also der Tod des Businessfluges?

Niemand kann vorhersagen, wie sich die derzeitige Nutzung von Videokonferenzen tatsächlich auf das Business-Reiseverhalten nach der Krise auswirken wird. Aber wir können Hypothese aufstellen:

  • Bei allen Beschäftigten, die derzeit nicht im Homeoffice arbeiten, ist es eher unwahrscheinlich, dass sie aktuell beruflich mehr Videokonferenzen nutzen als zuvor. Dies bedeutet, dass wir bei 75 % der Vollzeitberufstätigen keine größere Veränderung des beruflichen Reiseverhaltens erwarten können.
  • Bei denjenigen, die im Homeoffice arbeiten, werden vermutlich auch nur diejenigen ihr Reiseverhalten anpassen, die mit der Arbeit im Homeoffice zufrieden sind. Insofern ist zu vermuten, dass die 39,3 %, die im Homeoffice die Koordination mit Kollegen und Kunden als schwierig erleben, auch überwiegend zu ihrem gewohnten Ritualen zurückkehren – sobald dies wieder möglich ist (Quelle: OMD, PreVision).
  • Damit bleiben nur die Arbeitnehmer, die im Homeoffice arbeiten und das Zusammenspiel mit Kollegen und Kunden als wenig problematisch ansehen, als ideale Kandidaten für eine solche Verhaltensänderung. Dies sind etwa 10 % aller Arbeitnehmer.
  • Bei ihnen würde man den größten Effekt von stärkerer Videokonferenz-Nutzung zu Ungunsten von Vor-Ort-Terminen und damit auch Businessflügen vermuten.
  • Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass diese Gruppe alle Businessreisen einstellen wird. Insbesondere sehr wichtige oder sehr lange Termine werden sicherlich weiter als Vor-Ort-Termine stattfinden.

Fazit: Videokonferenzen mit geringem Effekt auf Businessflüge

Aus diesen Ableitungen können wir festhalten, dass Videokonferenzen nur einen geringen Effekt (kleiner als 5 %) auf alle Businessreisen haben werden. Dies begründet sich darin, dass die überwiegende Zahl an Arbeitnehmern derzeit gar nicht im Homeoffice arbeitet und entsprechend keine verstärkte Nutzung von Videokonferenzen stattfindet. Matthias Horx liegt damit dennoch nicht falsch. Aber der Effekt klingt weniger dramatisch, wenn man sich die konkreten Zahlen ansieht.

Tatsächlich ist zu vermuten, dass die wirtschaftlich angespannte Lage der Unternehmen einen deutlich größeren Effekt auf Businessreisen haben könnte als die Videokonferenzen selbst. Der Vergleich mit der Finanzkrise 2008 zeigt: Die Reisebeschränkungen der Unternehmen hatte damals einen deutlich negativeren Effekt ( -15,5 %) auf die Geschäftsreisebranche (Statista)².

Autoren:
Christian Franzen, Managing Director / OMD Düsseldorf
Elmar Klemm, Managing Partner Insights / Annalect
Frank Händler, Managing Partner Insights / Annalect

03.04.2020

Quellen:
1 Matthias Horx: https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/im-rausch-des-positiven-die-welt-nach-corona/
2 Statista Studie, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/203799/umfrage/kosten-fuer-geschaeftsreisen-seit-2004/